Mit Diabetes in die Schwangerschaft – aber auf Zehenspitzen

Insulinstift, diabetische Messgeräte und Tabletten auf orangefarbenem Hintergrund

Sie haben einen Diabetes und möchten gern Kinder bekommen? Das ist kein Problem. Das geht, das geht sogar sehr gut. Die modernen Möglichkeiten, den Blutzucker zu messen und mit Arzneimitteln und Insulin zu regulieren, haben sich gerade in den letzten Jahren unglaublich verbessert. Gesund in die Schwangerschaft, gesund durch die ganzen neun Monate, und sogar ohne Risiken für das Baby, das ist möglich. Es braucht Engagement von Ihnen und von Ihrem Diabetologen oder Ihrer Diabetologin. Aber daran sollte es ja sowieso nicht fehlen.

Fangen wir also an. Als Grundlage geht es in ganz wenigen Sätzen um Energie. Die Kohlenhydrate, die wir mit dem Essen zu uns nehmen, sind unsere wesentlichen Energie-Lieferanten. Dafür werden sie zuerst im Darm in kleine Moleküle aufgelöst, in Glucose, einen wasserlöslichen Zucker. Glucose wird durch die Darmwand hindurch ins Blut aufgenommen. Es gelangt dann in die Leber, die nur so viel von dem Zucker mit dem Blut weiterfließen lässt, wie aktuell im Körper gebraucht wird. Der Rest wird in eine Speicherform überführt und abgelagert, bis es dafür Verwendung gibt. Damit die Glucose aus dem Blut aber in jeder einzelnen Körperzelle als Energielieferant ankommen kann, muss sie durch die Schleusen in den Zellwänden hindurchtreten. Hier wird das Hormon Insulin gebraucht. Insulin ist ein Türöffner und lässt Glucose in die Zellen hineingelangen.

Insulin zerfällt in wenigen Minuten

Ohne Insulin bleibt die Glucose im Blut, und die Zellen leiden Mangel. Insulin wird in der Bauchspeicheldrüse hergestellt und auch gelagert. Wenn die Menge an Glucose im Blut ansteigt, steigt innerhalb von Sekunden auch die Insulinmenge im Blut an, sodass die anflutende Glucose unmittelbar in die Zellen aufgenommen werden kann. Wenn der akute Energiebedarf gedeckt ist, wird die überschüssige Glucose – ebenfalls durch Insulin vermittelt – in spezielle Speicherzellen aufgenommen, in Fett umgewandelt und für schlechte Zeiten eingelagert. Insulin zerfällt kurz darauf, es hat nur eine Halbwertzeit von wenigen Minuten. Immer neue Insulinmoleküle werden von der Bauchspeicheldrüse ausgeschüttet in genau der richtigen Menge, um den Blutzuckerspiegel wieder zu senken.

Ist die Bauchspeicheldrüse krank, häufig durch eine sehr frühe Störung im Immunsystem, dann gehen die Zellen verloren, die Insulin herstellen. Wenn mehr als 80 % der Zellen, die eigentlich Insulin produzieren sollen, vernichtet sind, kommt es zur Entgleisung. Die Glucose im Blut kann dann nicht mehr von den Zellen aufgenommen werden. Der Blutzucker steigt, obwohl die Zellen Hunger haben. Es kann auch keine Glucose mehr in Fett umgewandelt werden. Oberhalb einer bestimmten Glucose-Menge im Blut wird der Zucker durch die Nieren ausgeschieden. Hält der Zustand länger an, verliert man kontinuierlich an Körpergewicht, muss ständig sehr viel Wasser lassen und viel trinken, und es drohen Symptome wie Schwindel, Schwäche, Sehstörungen. Die Krankheit tritt selten erst im Erwachsenenalter auf, meist im Kindes- und Jugendalter. Es handelt sich hier um einen Typ-1-Diabetes.

Typ-1-Diabetes ohne Behandlung – Schwangerschaft unmöglich

Wird ein Typ-1-Diabetes nicht behandelt, dann führen der ständig überhöhte Blutzucker und der massive Wasserverlust mit dem zuckerhaltigen Urin zu zahlreichen Schäden im Körper. Die Blutgefäße werden geschädigt, und zwar die großen Schlagadern ebenso wie die feinen Verästelungen im Gewebe. Es kommt zu schweren Erkrankungen der Augen, der Nieren, der Herzkranzgefäße und vorwiegend innerhalb weniger Jahre zu Koma und letztlich in den Tod. Eine Schwangerschaft bei einem unbehandelten Typ-1-Diabetes ist nicht möglich.

Typ-2-Diabetes – Ernährung plus ungünstige Gene

Es gibt noch eine zweite Variante des Diabetes. Hierbei ist die Bauchspeicheldrüse zunächst nicht krank. Sondern meistens geht eine über viele Jahre anhaltende Überversorgung des Körpers mit Kohlenhydraten voraus. Die Bauchspeicheldrüse schüttet dann ständig hohe Mengen an Insulin aus, um den Zucker in die Zellen zu schleusen. Brauchen die Zellen nicht so viel Energie wie ihnen angeboten wird, so wird der Überschuss in Fett umgewandelt und für Notzeiten abgespeichert. Sichtbar wird das Schlamassel auf der Waage im Bad.

Es kann dann bei manchen Menschen passieren, dass die Zellen aufhören, auf das Insulin überhaupt noch zu reagieren. Man nennt das Phänomen „Insulinresistenz“. Oder in anderen Fällen schafft es die Bauchspeicheldrüse am Ende doch nicht mehr, den ständig erhöhten Bedarf an Insulin zu produzieren. Das Resultat ist beide Male dasselbe, der Blutzucker steigt und steigt. Und wie beim Typ-1-Diabetes filtern ab einer bestimmten Zuckerkonzentration die Nieren den Zucker-Überschuss aus dem Blut. Dabei gehen auch hier große Wassermengen verloren. Zu den großen Urinmengen gehört ebenso ein zunehmender Durst. Wer vom reichlichen Essen einfach nur dick wird und wer einen Diabetes entwickelt, darüber entscheiden die Erbanlagen.

Schwere Krankheit, früher Tod

Auch der Typ-2-Diabetes, um den es sich hier handelt, führt langfristig ohne Behandlung zu schweren Schäden an den Augen, den Nieren, den Blutgefäßen, ins Koma und zu einer Verkürzung der Lebensspanne.

Schwangerschaften sind möglich. Aber weil das Baby die ganze Zeit über mit einem Übermaß an Zucker versorgt wird, wächst es viel zu schnell. Das kann ohne ärztliches Eingreifen und ohne Umsteuern zu zahlreichen Fehlentwicklungen und Fehlbildungen führen. Außerdem sind die Blutgefäße in der Plazenta häufig krank, was vor allem in der späten Schwangerschaft zu einer akuten Notsituation führen kann.

So. Hier soll jetzt ein Stopp sein. Alles das ist heute Geschichte.

Mit Behandlung glücklich schwanger

Sowohl für Frauen mit einem Typ-1-Diabetes als auch für Frauen mit einem Typ-2-Diabetes ist es absolut sicher möglich, gesund schwanger zu werden und ein wunderbares, gesundes Baby zur Welt zu bringen. Aber das sagten wir ja schon am Anfang.

Dass bei Typ-1-Diabetes die geniale und beste Behandlung darin besteht, Insulin zu spritzen, ist seit 1922 bekannt. Damals nämlich wurde erstmals einem dreizehnjährigen Jungen das Leben durch eine Spritze mit Insulin gerettet. Dafür gab es kurz darauf auch einen Nobelpreis. Es darf allerdings immer nur genau so viel Insulin gespritzt werden, wie gerade nötig ist. Wird zu viel Insulin verwendet, sinkt der Blutzucker in den Keller. Auch das kann zu einem lebensbedrohlichen Koma führen.

Es gibt heute moderne Insuline, die über längere Zeit wirken und solche, die für kurze Zeit wirksam sind. Die einen dienen als Grundlage für den ganzen Tag, die andere für den Energieschub nach einer Mahlzeit. Wenn man Insulin schluckt, wird es im Darm zu kleinen Protein-Molekülen verdaut. Man muss es also – bisher jedenfalls – mehrfach täglich spritzen. Ständig muss der Blutzucker gemessen werden, immer muss gerechnet werden.

Zuckerstoffwechsel – vollelektronisch gesteuert

Inzwischen gibt es allerdings erste fast vollelektronische Systeme. Heute reicht es, mit dem Finger den Sensor eines Blutzucker-Messgeräts zu berühren und den Wert abzulesen. Oder ein Sensor mit einem Messfaden klebt auf der Haut und misst nicht mehr den Zuckergehalt im Blut, sondern im Gewebe direkt unter der Haut. Der Wert wird im Abstand von wenigen Minuten in ein kleines Gerät eingegeben, ohne dass man noch selbst ans Messen denken müsste. Das Gerät errechnet dann manchmal auch noch selbständig die nötige Insulindosis.

Auch das Spritzen des Insulins wird in der Zukunft vielleicht vollelektronisch ablaufen. Es gibt kleine Insulinpumpen, die zum Beispiel in der Hosentasche mitgetragen werden. Sie haben Insulin für etwa drei Tage gespeichert und geben permanent die nötige Insulinmenge ab, und zwar über eine Mikro-Sonde direkt unter die Haut.

Die Krankenkassen bezahlen diese modernen Systeme noch nicht für jeden und immer, und es gibt auch noch offene Fragen und Probleme. Aber so oder so ist heute eine Einstellung von Blutzucker und Diabetes zu erreichen, die weitestgehend normal ist.

So schadet der Diabetes dem Baby nicht mehr

Unter solchen Bedingungen muss keine Frau mit Kinderwunsch sich mehr Sorgen machen, ob ihr Diabetes ihrem Baby schaden könnte. Es gibt einen Laborwert, der anzeigt, ob alles in Ordnung ist. Nein, nicht den Blutzucker. Sondern den Anteil an rotem Blutfarbstoff, Hämoglobin, der bei Diabetes in typischer Weise geschädigt sind, den HbA1c. Liegt dieser Wert unter 7 %, besser noch unter 6,5 %, dann ist alles top.

Bei Typ-2-Diabetes geht es fast genauso genial. Aber die Nummer ist leider ein wenig unkomfortabel. Typ-2-Diabetes entsteht durch ein Zusammenspiel mehrerer ungünstiger Faktoren. Praktisch immer geht es dabei aber um ein erhebliches Über-Angebot an Nahrung und ein genauso erhebliches Unter-Angebot an Bewegung. Der HbA1c bei Frauen mit Typ-2-Diabetes liegt oft über 10 oder sogar über 15 %. Das ist sehr ungünstig. Bei einem so hohen Anteil an fehlerhaftem Hämoglobin kommt es viel häufiger zu Fehlbildungen und einem zu starken Wachstum des Babys und zu Störungen in der Plazenta. Das geht hin bis zur Präeklampsie (Verlinkungen). Dabei kommt es in den letzten Schwangerschaftswochen zu extrem hohem Blutdruck bis hin zu Krampfanfällen. Auch hier gilt: Ohne sofortige ärztliche Hilfe kann das lebensbedrohlich für Mutter und Kind sein.

Umsteuern muss VOR der Schwangerschaft passieren

Viele große Untersuchungen haben gezeigt, dass es zu spät ist, wenn eine Frau mit einem Diabetes erst während der Schwangerschaft anfängt, sich ernsthaft um ihre Krankheit zu kümmern. Vor der Schwangerschaft ist der richtige Zeitpunkt, um bei Typ-1-Diabetes die Blutzucker-Messung und die Insulingabe zu optimieren. Und vor der Schwangerschaft ist es auch der richtige Zeitpunkt, bei Typ-2-Diabetes die Ernährung zu verknappen und mehr und regelmäßige Bewegung ins Leben hineinzulassen. Ist die Schwangerschaft noch nicht eingetreten, kann der Blutzucker auch mit Diabetestabletten verbessert werden. Während der Schwangerschaft sind diese Tabletten aber nicht mehr gut geeignet, sowohl das klassische Metformin als auch die modernen Substanzen, die alle auf „…gliflozin“ enden. Eher wird dann heute überlegt, auch beim Typ-2-Diabetes den Blutzucker mit Insulin einzustellen.

Fazit: Auch mit einem Diabetes ist es im Jahr 2021 möglich, gesund durch die Schwangerschaft zu gehen und ein gesundes Baby zur Welt zu bringen. Ja, das ist durchaus mit ein bisschen Mühe verbunden. Aber die Mühe scheuen und stattdessen nach neun Monaten ein geschädigtes Baby im Arm – nein, das ist absolut keine Alternative.

Dr. med. Susanna Kramarz

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Quelle: S2e-Leitlinie “Diabetes und Schwangerschaft“. Deutsche Diabetes-Gesellschaft. 12.10.2021 bei der AWMF eingereicht.