Spermien schlapp – Abnehmen allein reicht nicht

Paar beim Sport - Er müde, Sie träumend.

Eigentlich könnte es so einfach sein. Bei Männern mit starkem Übergewicht ist die Zahl der Spermien häufiger erniedrigt im Vergleich zu schlanken Männern, und die Spermien sind weniger vital und weniger aktiv. Und je höher der BMI, umso stärker wird dieser Effekt. Wenn man nun abnehmen könnte und alles wäre wieder in Ordnung …. Aber das ist bei Männern viel komplizierter als bei Frauen. Denn was bei Frauen oft innerhalb weniger Monate hervorragend funktioniert – einige Kilo abnehmen, deutlich mehr Bewegung ins Leben, und schon kommt der Eisprung zurück – das ist beim Mann ein viel aufwändigeres Projekt.

Befruchtung ist keine Heldentat, sondern Teamwork

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Wichtig: Übergewicht ist nicht die Ursache sondern nur ein Symptom für schlechtere Fruchtbarkeit.

Weniger Spermien, warum ist das eigentlich so ein Drama, wenn es statt 600 Millionen nun 30 oder auch 5 Millionen im Ejakulat sind? Es braucht doch eigentlich nur ein einziges erfolgreiches Spermium, und die Eizelle öffnet ihre Außenhülle für ihren Romeo. Nein, es braucht alle, und je mehr umso besser. Spermien neutralisieren, eingebettet in genug Volumen aus dem Ejakulat, nur in der großen Masse das Sekret in der Vagina, und es braucht möglichst einen Massenauflauf, um durch den ziemlich stabilen Schleimpfropf zu gelangen, der die Gebärmutter von der Außenwelt abschließt. Dort angelangt, hat die Gebärmutter nur zwei winzige Ausgänge zu den Eileitern, deshalb müssen in der Gebärmutter genug Spermien vorhanden sein, damit per Zufall wiederum ausreichend Spermien im richtigen Eileiter landen, in dem das gerade aus dem Eierstock entlassene Ei zum Ausgang wandert. Und dann ist es eine Sage, dass nur ein einziges Spermium der schnelle Gewinner ist, seine Konkurrenz hinter sich lässt und wie durch Zauberhand die stabile Zellmembran der Eizelle durchwandert. Richtig ist, dass am Ende sehr viele Spermien an der Eizelle anhaften, jede einzelne eine minimale Reaktion der Zellmembran hervorruft, bis die Wand der Zelle an einer Stelle schwach genug geworden ist, um eine Spermatozoe durchzulassen. Über 39 Millionen Spermien im Ejakulat, das ist die Grenze, von der die WHO sagt, dass das weltweit als ein gesundes Spermiogramm zu gelten hat, davon mindestens die Hälfte lebendig, mehr als ein Drittel mit genug Energie im Rucksack, um sich immerhin ein paar Tage lang vorwärts zu bewegen und nicht nur im Kreis zu drehen. Es kommt also sehr wohl darauf an, dass die Spermienproduktion in den Hoden nicht nur viertel- oder halbgut läuft, sondern richtig gut mit Wumms und Trara.

Im Fettgewebe wird Östrogen produziert

Dazu braucht es eine ausreichende Menge an natürlichem, eigenem Testosteron – die Hormone aus den Anabolika taugen nicht, das hat den gegenteiligen Effekt. Es braucht ein möglichst niedrige Menge des weiblichen Hormons Östrogen, das auch bei Männern im Fettgewebe entsteht.

Übergewicht, das bei über mehr als 20% aller Männer zwischen 30 und 50 Jahren vorliegt, wird heute allerdings nicht als Ursache für die schlechtere Fruchtbarkeit angesehen, sondern nur als ein Symptom. Prof. Dr. Frank-Michael Köhn, der zweite Vorsitzende im Dachverband Reproduktionsbiologie und -Medizin, in dem alle medizinischen Organisationen und Fachgesellschaften rund um die Kinderwunschmedizin in Deutschland zusammengefasst sind, widmete dem Problem seinen Hauptvortrag auf dem Jahreskongress des Verbandes im Dezember 2020. Denn die Spermienqualität bessere sich nicht einfach dadurch, dass irgendwie das Gewicht reduziert wird.

Übergewicht ist nur ein Symptom

Crash-Diäten, deren Sinn und Ziel es ja ist, deutlich weniger Kalorien zuzuführen als man verbraucht, können die Zahl und die Gesundheit der Spermien sogar noch weiter verschlechtern. Speziell der verheerende Effekt von Magen-Verkleinerungen bei starkem Übergewicht auf die Qualität der Spermien ist schon seit vielen Jahren bekannt. Das Gleiche gilt für jede Form von einseitigen Diäten. Auch bei einem Mangel von Jod, von Eisen, Zink, Kupfer und anderen Spurenelementen, von ungesättigten Fettsäuren, Folsäure und von Vitaminen wie Vitamin C, D und anderen reagiert die Spermienproduktion in den Hoden empfindlich.

Blutdruck runter – mit viel Sport und weniger Gewicht

Aber das ist nicht alles. Auch Bluthochdruck wirkt sich negativ auf die Qualität der Spermien aus. Allerdings bessert sich die Situation nicht einfach dadurch, dass man Medikamente zur Blutdrucksenkung verwendet. Denn es sind nicht die Blutdruckmittel, die die Situation bessern, sondern vor allem eine Umstellung der Lebensweise, also deutlich mehr körperliche Bewegung, knappere, gesunde Ernährung, Stressreduktion. Viele Blutdrucksenker verschlechtern die Situation – es ist also besser, sie möglichst lange zu meiden, wenn ein Kinderwunsch im Raum steht, und stattdessen rigoros am Lifestyle zu arbeiten.

Das Gleiche gilt für Diabetes mellitus, wobei es schon ausreicht, wenn durch die jahrelange, überhöhte Kalorienzufuhr der Zuckerstoffwechsel aus dem Tritt gekommen ist, noch bevor sich das im Labor als Diabetes mellitus feststellen lässt. Schon eine Diabetes-Vorstufe kann die Lebendigkeit der Spermien reduzieren. Und auch hier ist es nicht damit getan, Zucker-senkende Tabletten zu schlucken. Der ganze Stoffwechsel muss wieder ins Lot kommen.

Und ein vierter Faktor verschlechtert die Fähigkeiten, Vater zu werden: Nikotin erhöht das Risiko für genetische Schäden in den Spermien, und je mehr man raucht, umso weniger Spermien und umso weniger vitale Spermien können die Hoden produzieren. Darauf werden wir in einem späteren Blogbeitrag noch ausführlicher zurückkommen.

Nach so vielen schlechten Nachrichten kommen jetzt zwei gute.

Erstens bedeuten weniger Spermien, weniger vitale und gesunde Spermien nicht, dass es unmöglich wäre, Vater zu werden. Und zweitens werden zwar in den Eierstöcken der Frau nach der Geburt keine weiteren Eizellen mehr ausgebildet. Das sieht aber beim Mann und in Sachen Spermien anders aus. Eine Spermiengeneration in den Hoden umspannt eine Zeitspanne von etwa drei Monaten. Danach ist das ganze Reservoir komplett neu gebildet, selbst dann, wenn zwischendurch nichts verbraucht wurde – was aber bei einem Paar mit Kinderwunsch eher die Ausnahme sein wird.

Küchenrevolution zu zweit für den Kinderwunsch

Wenn all die schädlichen Einflüsse, die auf die Hoden und die Bildung gesunder, aktiver Spermien einwirken, also nach und nach konsequent reduziert werden, dann gibt es eine reelle Chance, dass alles wieder gut wird und dass es dann auch mit dem Vaterwerden klappt. Das dauert zwar häufig deutlich länger als ein Vierteljahr, der Weg ist lang. Denn bei jemandem, der übergewichtig ist einschließlich Östrogen-Produktion in seinem Fettgewebe, der Bluthochdruck und eine Störung des Zuckerstoffwechsels hat, ist letztlich auch schon über längere Zeit der Energie- und Hormonstoffwechsel nicht mehr im Lot, und das Umkrempeln des Lebensstils geht auch meistens nicht von heute auf morgen.

Aber wenn der gemeinsame Kinderwunsch da ist, die Frau vielleicht ebenso überzeugt mitmacht, man gemeinsam Küche und Kühlschrank revolutioniert, gemeinsam mit dem Rauchen aufhört und viel mehr Bewegung an viel mehr frischer Luft ins Leben einbaut, ist das nicht nur gut fürs Elternwerden, sondern hilft auch erstklassig gegen die ganze, hinlänglich bekannte, erschlagende Sammlung von lästigen Zivilisationskrankheiten.

Autorin: Dr. Susanna Kramarz

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